Wohin mit dem Klärschlamm?
Im Klärschlamm konzentriert sich all das, was über das Abwasser in die Kläranlage gelangt. Eigentlich wäre er ein prima Dünger, denn er enthält organische Bestandteile, Stickstoff und vor allem Phosphor. Ein kostbares Element, weil einerseits Leben ohne Phosphor nicht möglich ist und andererseits die Phosphorvorräte der Erde begrenzt sind und zur Neige gehen. Pflanzen verkümmern, wenn sie nicht genügend Phosphate aufnehmen können. Leider finden sich im Klärschlamm aber auch sehr viele Schadstoffe wie Schwermetalle, Arzneimittelrückstände, Krankheitserreger, Nanomaterialien und Kunststoffreste. Deshalb wird heute nur noch weniger als ein Drittel des Klärschlamms in der Landwirtschaft genutzt, der große Rest wird verbrannt. Allerdings sehr oft als Sekundärbrennstoff in Kraftwerken und Zementwerken, wo der Phosphor verloren geht.
Deshalb schreibt die 2017 novellierte Klärschlammverordnung vor, dass spätestens 2032 der Phosphor aus Klärschlamm mit einem Phosphorgehalt von mindestens 20 Gramm pro Kilogramm Trockenmasse sowie aus der Asche der Klärschlammverbrennung zurückgewonnen werden muss, damit er dem Kreislauf erhalten bleibt. Dies gilt für große Kläranlagen, die das Abwasser von mehr als 100.000 bzw.50.000 Einwohnern behandeln.
Auch die Betreiber der Hildesheimer Kläranlage müssen sich diesen Herausforderungen stellen. Daher wurde 2018 die Kommunale Nährstoffrückgewinnung Niedersachsen GmbH (KNRN GmbH) gegründet, ein Zusammenschluss kommunaler Klärwerksbetreiber aus Niedersachsen, an dem auch die Hildesheimer SEHi (Stadtentwässerung Hildesheim) beteiligt ist. Aufgabe der KNRN ist die Verwertung des bei den Gesellschaftern anfallenden Klärschlamms und die Rückgewinnung der darin enthaltenen Nährstoffe, insbesondere des Phosphors.
Dazu ist geplant, auf einem städtischen Grundstück am Hildesheimer Hafen eine Monoklärschlammverbrennungsanlage (MKVA) zu errichten. Dies Vorhaben ist nicht unumstritten. Auf Wunsch des Rates der Stadt Hildesheim haben sich die Kreisgruppen der Umweltverbände BUND und NABU daher mit dem Thema Klärschlammverwertung und der Frage der Standortauswahl beschäftigt. Wir haben eine umfangreiche Einschätzung des Vorhabens erarbeitet. Der NABU hat ebenfalls eine Einschätzung abgegeben und sich darin der BUND Ausarbeitung angeschlossen.
An dieser Stelle ist zu betonen, dass es sich bei unserer Einschätzung nicht um eine Stellungnahme im Planungsverfahren handelt, denn das hat noch nicht begonnen. Planungsunterlagen liegen noch nicht vor. Es geht nicht um die planungsrechtliche Zulässigkeit der MKVA. Vielmehr wird versucht, die vorbereitenden, interdependenten Schritte: Wahl des Verfahrens und Wahl des Standorts nachzuvollziehen und aus Umweltsicht zu bewerten.
Dazu haben wir eine Reihe von Anforderungen definiert, die aus Umweltsicht an Verfahren zur Klärschlammbehandlung und Phosphorrückgewinnung zu stellen sind. Wirtschaftliche Gesichtspunkte spielen bei einer solchen Beurteilung keine Rolle. Diese müssen von den Entscheidungsträgern in der Politik ergänzt und dazu ggf. andere Expertise herangezogen werden.
Hier geht es zur Einschätzung der BUND Kreisgruppe Hildesheim.
FAQ zum Thema Monoklärschlammverbrennungsanlage
Wie oben beschrieben, hat die BUND Kreisgruppe Hildesheim eine positive Einschätzung zur geplanten Monoklärschlammverbrennungsanlage in Hildesheim abgegeben. Dies hat offenbar viele überrascht. Uns erreichen Fragen wie:
Was ist mit den Hildesheimer Umweltverbänden los? Warum sind BUND und NABU für die Verbrennung von Klärschlamm?
Diese und weitere Fragen sollen hier vereinfacht beantwortet werden. Ohne Zitate und Quellenangaben. Wer es fundierter wissen möchte, möge bitte die ausführliche Einschätzung lesen.
Um was geht es überhaupt?
Die kommunale Nährstoffrückgewinnung Niedersachsen GmbH (KNRN GmbH) ein Zusammenschluss kommunaler Klärwerksbetreiber aus Südniedersachsen möchte auf einem städtischen Grundstück am Hildesheimer Hafen eine sogenannte Monoklärschlammverbrennungsanlage errichten, um dort den Klärschlamm aus dem Hildesheimer Klärwerk und den Klärwerken der Gesellschafter zu verbrennen. Dieses Vorhaben ist umstritten. Anwohner befürchten gesundheitsschädliche Emissionen. Die Klärschlamm-Initiative Hildesheim e.V. versucht den Bau zu stoppen und schlägt Alternativen vor. In dieser Situation haben die Kreisgruppen von BUND und NABU eine positive Einschätzung zur geplanten Monoklärschlammverbrennungsanlage am Hildesheimer Hafen abgegeben
Was ist eine Monoklärschlammverbrennungsanlage (MKVA)?
Eine Verbrennungsanlage - ähnlich einer Müllverbrennungsanlage - in der ausschließlich Klärschlamm verbrannt wird.
Wie ist der Stand des Genehmigungsverfahrens?
Es hat noch gar nicht begonnen. Es liegt auch noch keine Planung der Anlage vor. Der Generalplaner wurde erst kürzlich beauftragt. Erst auf der Basis seiner Planungen können die Unterlagen für das Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz zusammengestellt werden.
Warum haben die Umweltverbände bereits jetzt eine Einschätzung vorgenommen?
Weil wir darum gebeten wurden.
Der Rat der Stadt Hildesheim hat 2018 beschlossen, die Übertragung des städtischen Grundstücks an die KNRN GmbH an drei Bedingungen zu knüpfen. Eine davon war das „Vorliegen einer Stellungnahme der Umweltverbände zum Betrieb“. Deshalb haben wir eine Einschätzung des Vorhabens bereits jetzt - vor der Entscheidung zur Übertragung des Grundstücks - abgegeben. Es handelt sich ausdrücklich nicht um eine Stellungnahme, die erst im Laufe des Verfahrens auf der Basis der dann verfügbaren Unterlagen zur Umweltverträglichkeit abgegeben wird. Vielmehr haben wir versucht, die in einem Gutachten der JOMA Umweltberatung Hamburg dargestellten, vorbereitenden, interdependenten Schritte: Wahl des Verfahrens und Wahl des Standorts nachzuvollziehen und aus Umweltsicht zu bewerten.
Jetzt mal in Kurzform: Was sind die wesentlichen Ergebnisse der Einschätzung des BUND?
Die Verbrennung und die anschließende Phosphor-Rückgewinnung aus der Asche lassen hohe Recyclingquoten von bis zu 90% erwarten. Die Monoklärschlammverbrennung ist das einzige, aktuell zur Verfügung stehende, großtechnisch erprobte thermische Verwertungsverfahren. Insofern ist die Entscheidung für die Monoklärschlammverbrennung nachvollziehbar.
Die Größe der geplanten Anlage erlaubt eine effiziente Rauchgasreinigung und ermöglicht einen Energieüberschuss zu erzielen, der in das öffentliche Netz eingespeist werden kann. Fossile Energie kann so durch den erneuerbaren Rohstoff Klärschlamm ersetzt werden.
Die im Klärschlamm enthaltenen Schadstoffe werden in der Verbrennung zerstört oder danach wirksam herausgefiltert. Im Vergleich mit der Ausbringung von Klärschlamm setzt die Verbrennung zwischen 94% und 99% weniger Quecksilber, Schwermetalle und Dioxine frei. Aus zurückgewonnenem Phosphor hergestellter Dünger wird voraussichtlich viel geringer mit Schadstoffen wie Schwermetallen oder Cadmium belastet sein als aus Rohphosphat hergestellte Düngemittel.
Der Standort Hildesheim ist der geeignetste Vorzugsstandort. Er bietet zahlreiche Synergien mit der Hildesheimer Kläranlage und dem Hafenbetrieb. Die Nähe zu potenziellen Abnehmern ermöglicht die sinnvolle Nutzung der ausgekoppelten Energie.
Also nur Vorteile?
Nein: Die derzeit geplante Monoklärschlammverbrennung bildet erst den Einstieg in das Phosphorrecycling. Ein großtechnisch erprobtes Verfahren für die Phosphorrückgewinnung aus der Verbrennungsasche steht noch nicht zur Verfügung. Die JOMA Gutachter haben deshalb empfohlen, die Asche in einer Monodeponie zwischenzulagern bis ein wirtschaftliches Phosphor-Recyclingverfahren verfügbar ist. Die Geschäftsführung der KNRN geht heute jedoch davon aus, dass die Deponierung vermieden und die Asche ab 2025 direkt an einen industriellen Phosphorrecycler abgegeben werden kann. Dort würde der Phosphor aus der Asche herausgelöst, zu einem vermarktungsfähigen Düngemittel verarbeitet und so in den Nährstoffkreislauf zurückgeschleust.
Natürlich verursacht die in Hildesheim geplante Gemeinschaftsanlage mehr Emissionen als eine Anlage, die nur den Hildesheimer Klärschlamm verbrennt. Ihre Größe schafft jedoch die Voraussetzung für eine effektive Rauchgasreinigung. Die zukünftigen verschärften Grenzwerte muss jede Anlage einhalten, es wäre wünschenswert und auch möglich, dass die Betreiber der Hildesheimer Anlage sich ehrgeizigere Ziele setzen, niedrigere Grenzwerte akzeptieren und diese im Betrieb noch unterschreiten.
Der Standort am Hildesheimer Hafen ermöglicht die Anlieferung des Klärschlamms und den Abtransport der Asche mit Bahn oder Binnenschiff. Dennoch wird der ganz überwiegende Teil des Klärschlamms noch per Lkw nach Hildesheim gelangen. Das ist unbefriedigend.
Es ist wünschenswert, neben dem Phosphor auch den im Klärschlamm enthaltenen Stickstoff zurückzugewinnen.
Das Projekt hat demnach noch „Optimierungspotenzial“. Was fordert der BUND?
- Wir empfehlen bei den Emissionen die untere Bandbreite der in den „Schlussfolgerungen zu den besten verfügbaren Techniken (BVT) in Bezug auf die Abfallverbrennung“ der EU-Kommission vom November 2019 enthaltenen Emissionsgrenzwerte anzustreben. Dass dies technisch bei neuen Anlagen möglich sein muss, zeigt ein Vergleich mit den Emissionsdaten der kommunalen Klärschlammverbrennungsanlage VERA der HAMBURG WASSER. Die dortigen MKVA erreichen im Betrieb bereits heute Werte, die im Bereich der unteren Bandbreite der BVT Schlussfolgerungen oder sogar darunter liegen.
- Die Gesellschafter der KNRN sollen ihre Absicht, beim Transport neben der Wirtschaftlichkeit auch die Belange der Ökologie zu berücksichtigen, dadurch dokumentieren, dass sie untereinander ein Kostenverteilungsmodell vertraglich vereinbaren, das neben der transportierten Menge auch das dabei emittierte CO2 berücksichtigt und so einen Anreiz zur Wahl klimaschonender Verkehrsmittel setzt.
- Der Stickstoff soll aus dem ammoniakhaltigen Kondensat der Klärschlammtrocknung (Brüden) wieder zurückgewonnen werden.
Sind die Empfehlungen des BUND aufgegriffen worden?
Die Einschätzung des BUND ist im Anhang der Ratsvorlage für die im September 2020 zu entscheidende Bestellung eines Erbbaurechts für das Grundstück am Hildesheimer Hafen enthalten und unsere Forderungen werden im Text der Vorlage erwähnt. Die Grundstücksübertragung soll mit Auflagen hinsichtlich der Emissionen, der Logistiklösung und zum Stickstoffrecycling verbunden werden. Wie diese letztlich aussehen werden, bleibt abzuwarten.
Warum hat sich der BUND in seiner Einschätzung nicht zu der möglichen Gefährdung der umliegenden Naturschutzgebiete und des FFH Gebiets geäußert?
Weil die dazu erforderlichen belastbaren Fakten erst im Genehmigungsverfahren ermittelt werden. Noch wurde nicht planerisch ermittelt, wieviel Emissionen die Anlage verursachen wird, geschweige denn wieviel davon voraussichtlich in den benachbarten Schutzgebieten niedergehen wird und welche Wirkungen die Stoffe dort möglicherweise auf Schutzgüter wie Arten und Lebensräume haben werden. Zu den naturschutzfachlichen Fragen können wir uns daher erst im Rahmen des Genehmigungsverfahrens äußern.
Welche Verfahren stehen für das Phosphorrecycling zur Verfügung?
Phosphor kann direkt aus dem Abwasser oder dem Klärschlamm gewonnen werden. Dafür gibt es zahlreiche Verfahren. Allerdings lässt sich mit ihnen die von der Klärschlammverordnung vorgegebene Recyclingquote von 50% bislang nicht erreichen. Thermische Verfahren müssen eine deutlich höhere Recyclingquote von mindestens 80% erzielen. Tatsächlich gelingt es mit der Verbrennung mehr als 90% des im Kläranlagenzulauf enthaltenen Phosphors in der Verbrennungsasche zu konzentrieren. Die häufig als Alternative zur Verbrennung genannten Pyrolyse erzeugt durch Verschwelung so genannte Pyrolysekohle, die den wertvollen Phosphor enthält.
Die Pyrolyse wird oft als Alternative zur Verbrennung genannt. Was ist davon zu halten?
Mittels Pyrolyse kann man aus pflanzlichen Abfällen durch Verschwelung so genannte Pyrolysekohle herstellen, in der aufgrund der unvollständigen Verbrennung noch ein guter Teil des in den Pflanzen gespeicherten CO2 enthalten ist. Klärschlamm besteht etwa zur Hälfte aus organischem Material, aus dem sich ebenfalls Pyrolysekohle herstellen lässt. Diese Kohle enthält den Phosphor, aber auch Schwermetalle und andere Schadstoffe aus dem Klärschlamm. Der BUND Bundesverband rät daher davon ab, Klärschlamm als Ausgangsmaterial für die Herstellung von Pflanzenkohle zu verwenden. Das Phosphorrecycling wäre abgeschlossen, wenn die Pyrolysekohle in den Boden eingebracht werden könnte, um dort den Phosphor freizusetzen. Dies gestattet die Düngemittelverordnung allerdings derzeit nicht. Sollte sie geändert werden, muss die Pflanzenkohle die Auflagen des Düngemittelrechts hinsichtlich Schadstoffgehalt und Pflanzenverfügbarkeit des Phosphors erfüllen. Gelingt das nicht, muss der Phosphor auf andere Weise recycelt werden, beispielsweise durch Verbrennung und Aufbereitung der Asche. Großtechnisch erprobte Anlagen zur Klärschlammpyrolyse existieren derzeit nicht. Auf dem Weg zum Phosphorrecycling stellen sich daher bei der Pyrolyse deutlich mehr technische und rechtliche offene Fragen als bei der Verbrennung.
Warum kann es nicht auch eine kleinere Verbrennungsanlage sein?
Technisch wäre das möglich. Monoklärschlammverbrennungsanlagen sind in Deutschland mit Durchsatzleistungen von 2000 bis 90.000 MgTM/a installiert. Die Kapazität der für Hildesheim geplanten Anlage bewegt sich mit 33.500 MgTM/a am unteren Rand des mittleren Drittels dieser Spanne. Eine solche Größe ist erforderlich, wenn sich der Verbrennungsprozess nicht nur selbst tragen, d. h. der Klärschlamm von allein und ohne zusätzliche Feuerung brennen soll, sondern auch noch überschüssige Energie in Form von Strom und Wärme in externe Netze abgegeben werden soll. Dies ist sinnvoll, weil Klärschlamm als erneuerbarer Brennstoff zu sehen ist, der die in konventionellen Kohle- oder auch Gaskraftwerken erzeugte Energie ersetzen kann.
Kleinere MKVA verbrauchen die bei der Verbrennung freiwerdende Energie zur Trocknung des Klärschlamms und für die Rauchgasreinigung. Bei größeren Anlagen ergibt sich ein Energieüberschuss, der in Hildesheim in das Fernwärmenetz der EVI eingespeist werden soll.
Ein Netz kleinerer Anlagen bei den einzelnen Klärwerksbetreibern dürfte insgesamt eher mehr Emissionen verursachen und weniger fossile Energie ersetzen als eine größere zentrale Anlage. Das wirkt sich auf die CO2 Bilanz deutlich stärker aus als das eingesparte Transportaufkommen.
Warum soll der Standort am Hafen Hildesheim der Beste für die Monoklärschlammverbrennungsanlage sein?
Im Standortgutachten aus dem Jahr 2016 wurde eine Liste von 48 möglichen Standorten im definierten Einzugsgebiet in mehreren Bewertungsschritten auf drei Vorzugsstandorte reduziert:
- Kombination der Standorte AHA Hannover (Deponie Lahe) und EEW Hannover,
- Klärwerk Hildesheim,
- Kraftwerk Mehrum
Die Wahl fiel auf Hildesheim, weil der Standort Hannover nicht mehr zur Verfügung steht, da die enercity AG in Hannover Lahe eine eigene MKVA realisiert und Hildesheim im Vergleich zu Mehrum Vorteile durch vielfältige Synergien mit der Kläranlage und dem Hafenbetrieb hat. Die Abwässer (Brüden)aus der Klärschlammtrocknung können auf der Kläranlage verwertet werden und der Hafen ermöglicht eine Logistiklösung mit Bahn und Binnenschiff. Mehrum hat keinen Hafenbetrieb und Hafenbetriebsgesellschaft wie in Hildesheim. Weiterhin stehen Abnehmer für die ausgekoppelte Energie im dortigen Umfeld nicht zur Verfügung.